19.11.2024
Geltendmachung von Besoldungsansprüchen im Jahr 2024
Mit aktuellem Schreiben hat Innenminister Prof. Dr. Roman Poseck auf die Einrede der zeitnahen Geltendmachung von Rechtsansprüchen wegen Unteralimentation auch für das Jahr 2024 verzichtet.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
immer zum Jahresende stellt sich die Frage, ob Beamtinnen und Beamte mit Blick auf die Amtsangemessenheit der Besoldungshöhe (erneut) Ansprüche geltend machen sollten. Wir informieren und geben eine Entscheidungshilfe.
Das Besoldungs- und Versorgungsanpassungsgesetz für 2023 und 2024 sieht eine Erhöhung von Besoldung und Versorgung im Jahr 2023 um insgesamt 4,89 Prozent und im Jahr 2024 um noch einmal 3 Prozent vor. Im laufenden Jahr 2024 wird genau wie im Tarifbereich eine Inflationsausgleichsprämie von bis zu 3000 Euro gezahlt. Durch die Übertragung des guten Tarifabschlusses auf die Beamtinnen und Beamte werden nach aktuellem Besoldungsgesetz außerdem im Jahr 2025 die Dienst- und Versorgungsbezüge um insgesamt 10,3 Prozent erhöht.
Damit konnten die DGB-Gewerkschaften in den Tarifverhandlungen mit dem Land Hessen den Ausgleich der inflationsbedingten Realeinkommensverluste aus den Jahren 2022 und 2023 erreichen! Noch so gute Tarifergebnisse schließen aber wahrscheinlich nicht die Besoldungslücke, die durch die Unterschreitung des notwendigen Mindestabstands von 15 Prozent zum Grundsicherungsniveau entsteht.
An der grundlegenden Bewertung, dass die hessische Besoldung verfassungswidrig zu niedrig ist, hat sich auch für 2024 nichts geändert. Im Jahr 2023 hatte der damals noch amtierende Innenminister Beuth für das Land Hessen (erneut) auf eine zeitnahe
Geltendmachung verzichtet. Minister Roman Poseck setzt diese Praxis fort, dass Hessen auch im Jahr 2024 davon absieht, Widerspruchsbescheide zu erlassen.
Wir empfehlen folgenden Gruppen vor dem 31.12.2024 einen Antrag auf amtsangemessene Alimentation für das Jahr 2024 und die Folgejahre zu stellen:
• Beamtinnen und Beamte des Landes Hessen, die in den vergangenen Jahren keinen Antrag gestellt haben bzw. nicht in Widerspruch gegen ihre Besoldungsbescheide gegangen sind,
• Beamtinnen und Beamte der hessischen Kommunen oder anderer Dienstherren, bei denen der Dienstherr generell oder im Einzelfall nicht auf die zeitnahe Geltendmachung verzichtet hat,
• Beamtinnen und Beamte mit drei oder mehr Kindern.
Landesbedienstete, die in den zurückliegenden Jahren bereits Anträge gestellt haben, können dies vorsorglich erneut tun. Wir gehen aber davon aus, dass das Land Hessen seine Zusagen einhält und dies nicht zwingend erforderlich ist.
Nachstehend ein Überblick über den aktuellen Sachstand:
Im Besoldungsrecht gilt der Grundsatz der „zeitnahen Geltendmachung“. Wer mit seiner oder ihrer Besoldung nicht einverstanden ist, weil sie bzw. er diese z. B. für verfassungswidrig zu niedrig hält, muss eine verfassungsgemäße Besoldung im Laufe eines Kalenderjahres geltend machen. Erst dann entsteht ein Anspruch, sollten auch die übrigen Voraussetzungen erfüllt sein.
Der Anspruch wirkt dann auf den Anfang des Haushaltsjahres zurück. Die Geltendmachung wirkt grundsätzlich so lange, wie die angegriffene Rechtslage gilt. Bei einer neuen Entwicklung, z. B. durch eine Erhöhung der Besoldung im laufenden Jahr, ist evtl. der
Anspruch erneut geltend zu machen.
Parallel dazu ist die besoldungsrechtliche Verjährungsfrist von drei Jahren nach § 13 HBesG zu beachten (§ 13 Satz 2 HBesG i. V. m. §§ 199 Abs. 1; 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Trotz einer Geltendmachung muss deshalb ggf. der Anspruch gerichtlich geltend gemacht werden,
damit er nicht verfällt. Das gilt nicht, wenn der Dienstherr entweder generell, z. B. durch einen Erlass oder im Einzelfall schriftlich und damit nachweisbar erklärt, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten. In diesem Fall ist es nicht erforderlich, innerhalb von drei Jahren gerichtlich gegen den ablehnenden Bescheid vorgehen.
Die DGB-Gewerkschaften kritisieren Landesregierung und Landtag weiterhin nachdrücklich für die Besoldungsentwicklung in den Jahren 2015 bis 2018 (u. a. Null-Runde und 1 Prozent-Steigerung). Viele Kolleginnen und Kollegen haben dagegen Widerspruch eingelegt. Die GdP hat Klagen vor allen fünf hessischen Verwaltungsgerichten geführt und unterstützt gemeinsam mit der GEW insbesondere eine Musterklage zur Alimentation bei mehr als zwei Kindern.
Das Bundesverfassungsgericht hat in zwei Entscheidungen vom 04.05.2020 seine Parameter für die Überprüfung einer verfassungskonformen Besoldung weiter geschärft. So stelle das Mindestabstandsgebot einen eigenständigen Grundsatz des Alimentationsprinzips dar (BVerfG v. 04.05.2020 - 2 BvL 4/18 -). Die Besoldung für Beamtinnen und Beamte und ihre Familie müsse in jedem Fall um 15 Prozent über den Leistungen liegen, die eine vierköpfige Familie im Grundsicherungsbezug erhalten kann. Der Gesetzgeber habe seine Erkenntnismöglichkeiten für eine realitätsgerechte Ermittlung des Grundsicherungsniveaus auszuschöpfen.
Außerdem hat das BVerfG erneut zur amtsangemessenen Alimentation für Beamtinnen und Beamte mit drei und mehr Kindern entschieden (BVerfG v. 04.05.2020; Az.: 2 BvL 6/17; 2 BvL 7/17; 2 BvL 8/17). Danach dürfe, ausgehend von einer Alimentation, die so bemessen ist, dass sie zusammen mit den Familienzuschlägen bei zwei Kindern amtsangemessen ist, Beamtinnen und Beamte nicht zugemutet werden, für den Unterhalt weiterer Kinder auf die familienneutralen Bestandteile ihres Gehalts zurückzugreifen. Daher müssten die Beamtinnen und Beamte für ihr drittes und weitere Kinder gewährten Zuschläge das verfügbare Nettoeinkommen um mindestens 115 Prozent des grundsicherungsrechtlichen Gesamtbedarfs für jedes Kind erhöhen.
Im Licht dieser Rechtsprechung hat im Jahr 2021 der Hessische Verwaltungsgerichtshof festgestellt, dass die Beamtenbesoldung in Hessen in den Jahren 2013 bis 2020 nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprochen hat. Entschieden wurde am 30.11.2021, dass ein nach A 6 besoldeter Justizbeamter seit mindestens 2016 nicht verfassungsgemäß besoldet wurde.
Laut VGH wurde das Mindestabstandsgebot in keinem der überprüften Jahre eingehalten. In den unteren Besoldungsgruppen wurde das Grundsicherungsniveau sogar unterschritten! Ein derartiger Verstoß betreffe das gesamte Besoldungsgefüge, da sich der vom Gesetzgeber gesetzte Ausgangspunkt für die Besoldungsstaffelung als fehlerhaft erweise. So hat der VGH auch die Verfassungswidrigkeit der Besoldung einer nach W 2 besoldeten Professorin zwischen 2013 und 2020 festgestellt. Bei den Klageverfahren geht es ausschließlich um hessisches Recht, gleichwohl leitet sich der Grundsatz der amtsangemessenen Alimentation
aus Art. 33 Abs. 5 Grundgesetz ab. Da die abschließende Beurteilung der Frage, ob eine Regelung gegen das Grundgesetz verstößt, allein dem Bundesverfassungsgericht zukommt, hat der VGH die Verfahren dem BVerfG zur abschließenden Entscheidung vorgelegt.
Die Maßnahmen in den Jahren 2023, 2024 und 2025 reichen nach unserer Auffassung nicht aus. Mit dem Besoldungs- und Versorgungsanpassungsgesetz für 2023 und 2024 (Landtagsdrucksache 20/9499) wurden Besoldung und Versorgung zum 01. April 2023 und zum 1. Januar 2024 um jeweils 3 Prozent angehoben. Zusätzlich wurden die Ergebnisse der Tarifeinigung für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes des Landes Hessen vom 15. Oktober 2021 zeitgleich und „systemgerecht“ auf die Beamt*innen übertragen. Das bedeutete eine lineare Erhöhung um 2,2 Prozent ab 01. August 2022 und um 1,89 Prozent ab 01. August 2023. Im Jahr 2024 wurde das Gesetz über die Gewährung einer Inflationsausgleichszahlung im Jahr 2024 und über die Anpassung der Besoldung und Versorgung in Hessen im Jahr 2025 (HBesVAnpG 2025, Landtagsdrucksache 21/519) beschlossen. Damit sollte die Tarifeinigung (TV-H) vom März 2024 „zeitgleich und systemgerecht“ auf die Hessischen Beamtinnen und Beamte übertragen werden. Gewährt werden 2024 drei steuerfreie Sonderzahlungen in Höhe von je 1000 Euro (aktive Beamtinnen und Beamte, Vollzeit). Lineare Besoldungserhöhungen folgen erst im Jahr 2025: zum 1. Februar 2025 um 4,8 Prozent und nach akteullem Stand zum 1. August um weitere 5,5 Prozent.
Die Besoldung wurde auch zwischen 2019 und 2022 erhöht (zum 01. März 2019 um 3,2 Prozent, zum 01. Februar 2020 ebenfalls um 3,2 Prozent, zum 01. Januar 2021 um 1,4 Prozent, zum 01. August 2022 um 2,2 Prozent, zusätzlich Corona-Sonderzahlungen in Höhe
von insgesamt 1000 Euro in den Jahren 2021 und 2022). Seit 2019 sind aber auch die Grundsicherungsleistungen deutlich angestiegen. Während zunächst insbesondere die Wohnkosten stark angestiegen sind, führten seit 2023 und 2024 die massiven Kostensteigerungen bei Energie und Lebensmitteln, die arme Haushalte besonders betreffen, zur Erhöhung der Leistungen zur Gewährleitung eines Existenzminimums. Diese Kostenbelastung verharrt auch nach dem Absinken der Inflation auf deutlich erhöhtem Niveau.
Der VGH hat berechnet, dass im Jahr 2019 die Besoldungshöhe in der Besoldungsgruppe A 5 Stufe 1 um 9,5 Prozent unterhalb des Grundsicherungsniveaus für eine vierköpfige Familie lag. Aktuell ist die Besoldungsgruppe A 6 Stufe 1 maßgeblicher Ausgangspunkt der Besoldungsstaffelung. Im Jahr 2019 war das Grundgehalt bei A 5 Stufe 1 um 2,2 Prozent höher als bei A 6 Stufe 1.
Als Schritt in die richtige Richtung haben die DGB-Gewerkschaften 2024 gefordert, die Entgelterhöhung um den tariflich vereinbarten Sockelbetrag in Höhe von 200 Euro ab 01. Februar 2025 als Mindestbetrag zu verstehen, diesen allen Bediensteten mindestens zu gewähren und davon ausgehend eine Besoldungsanpassung unter Beachtung des Abstandsgebots vorzunehmen. Hierdurch wäre die Lücke zur erforderlichen Mindestbesoldung verkleinert worden. Das hat das Land abgelehnt.
Somit sind die verfassungsrechtlichen Anforderungen wahrscheinlich weiterhin nicht eingehalten und die hessischen Beamtinnen und Beamte werden in ihrem subjektiven Recht auf amtsangemessene Alimentation verletzt.
Das sah die Landesregierung 2023 genauso: Laut BesVersAnpG 2023/2024 sollten im Jahr 2023 „erste Maßnahmen zur Behebung des bestehenden Alimentationsdefizits ergriffen werden“, „im Rahmen des derzeit Haushaltsmöglichen (…) in zwei ersten Schritten auf dem Weg hin zu einer vollumfänglich verfassungsgemäßen Alimentation im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG“.
Wir warten immer noch auf die angekündigten weiteren Schritte! Die Landesregierung ist auch unserer Aufforderung zu Gesprächen nicht gefolgt. Zum Umgang mit den 124.000 (Stand 2023) offenen Widersprüchen kommt von der Landesregierung kein Wort.
Ob eine Beamtin bzw. ein Beamter nicht verfassungskonform alimentiert wird, richtet sich nach dem Einzelfall. Musterwidersprüche sind unten (auf dieser Seite) zum Download bereitgestellt.
Dem Gesetzgeber steht ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Er ist insbesondere nicht verpflichtet, die Grundgehaltsbeträge umfassend zu erhöhen. Er steht aber klar in der Pflicht, die Besoldung verfassungskonform auszugestalten, diese Ausgestaltung nach den Kriterien des BVerfG hinreichend zu begründen sowie Lösungen für die Ansprüche aus den Jahren seit 2016 zu finden.
Das fordert die GdP zusammen mit den DGB-Gewerkschaften für ihre Mitglieder ein!
Gerechte Besoldung jetzt!