Bildungsreise 2010
Ein Reisebericht von Gunter Hänel
Die Gewerkschaft der Polizei, Bezirk Bundespolizei, veranstaltete für interessierte Beamtinnen und Beamte und Arbeitnehmer/innen im Oktober 2010 wieder eine großartige staatspolitische Bildungsreise nach Israel, wiederum geleitet von unserem stellvertretenden Vorsitzenden Sven Hüber.
Israel – gestern, heute, morgen.
Eine Bildungsreise 2010
Reisen bildet, umso mehr eine Bildungsreise. Und spätestens nach dem Vorbereitungstreffen und dem Verinnerlichen des vom stellvertretenden GdP-Bezirksvorsitzenden, Sven Hüber, dem Organisator und Reiseleiter, bekannt gegebenen und erläuterten Programms für die 10 Tage Israel war auch meiner Frau und mir klar: Ein Erholungsurlaub wird dies nicht!
Diese Vermutung erhärteten auch die Erzählungen der Kollegen, die bereits zum wiederholten Male an solcher Reise teilnahmen. Ebenso ließen die Berichte auf der GdP-Internetseite einiges in diese Richtung vermuten. Und fürwahr, ein Erholungsurlaub wurde es wirklich nicht – wohl aber eine perfekt organisierte, erlebnisreiche Israelreise. Eine Reise in das Heilige Land, in das historische und in das moderne Israel. Es war eine Reise zu unseren jüdisch-christlichen Wurzeln in einem Gebiet, das vor 2000 Jahren noch Teil der römischen Provinz Palästina und später der osmanischen Provinz Palästina war, die damals weit mehr Territorium umfasste, als den heutigen israelischen Staat. Es war eine Reise in das Leben und den Alltag der Menschen, die heute dort wohnen. Es war eine Reise in eine Landschaft, die sich in ihrer Schroffheit und zugleich Schönheit voller Kontraste erleben ließ.
Wir lernten in den zehn Tagen auch ein Israel kennen, welches uns die hiesigen Medien – sicher nicht ohne Absicht – in der Regel vorenthalten. Wesentlichen Anteil am „genaueren“ Israelbild hatte – neben Sven Hüber – unser israelischer Reiseleiter Yalon Graeber. Eindrucksvoll und nachhaltig verstanden es beide, uns Land und Leute näher zu bringen, die Spannungsfelder und Konflikte, mit denen die Menschen dort leben, darzulegen. Spannungsfelder und Konflikte, resultierend aus der Entwicklung des ehemaligen britischen Protektorats Palästina, aus Historie und Gegenwart des Staates Israel und seiner Nachbarn.
Resultierend aber auch aus der Verschiedenheit und den Gemeinsamkeiten seiner Bewohner und aus den auf engstem Raum (besonders sichtbar in Jerusalem) vertretenen Religionen Judentum, Christentum und Islam. Mit Sachkenntnis, aber vor allem mit spürbarer Liebe und Ehrfurcht gegenüber seiner Wahlheimat Israel, offenbarte uns besonders Yalon eine Seite Israels, die man in der öffentlichen Berichterstattung über dieses Land kaum oder ganz selten findet: Die Verbundenheit der Israelis mit ihrem Land und dessen Geschichte. Ihre Bereitschaft, Land preiszugeben, um Frieden oder auch nur eine Atempause zu erlangen. Ihre Opferbereitschaft und ihre Hingabe, ihr Land zu verteidigen, ihre Gelassenheit im Alltag, ihre Gedenken…
Und noch ein wichtiges Faktum, welches man in den Medien gern vergisst zu erwähnen, wurde sichtbar: Israelis sind Juden, jawohl, aber auch Araber, Beduinen (wie unser Busfahrer Deap Ghadir) oder Fellachen oder Drusen oder, oder… Sie alle leben in einem Staat auf einem Teilgebiet des ehemaligen Palästina, sind, wenn man’s also genau nimmt, alles „Palästinenser“ und sind, wenn sie die israelische Staatsbürgerschaft besitzen, auch Israelis.
All das wurde deutlich während unserer 10-tägigen Reise, die am Flughafen Tegel begann. Am Sonntag, dem 3. Oktober um 6.55 Uhr in der Früh ging es nach München und nach verspäteter Landung und verschobenem Start aus dem Oktobernebel Deutschlands in das sonnige Tel Aviv. Zeit, sich während des Fluges, soweit es das vollgestopfte Großraumflugzeug zuließ, schon ein wenig kennenzulernen.
Ging das „Einchecken“ in Deutschland noch relativ problemlos von statten, so hatte das „Auschecken“ im Airport Tel Aviv schon so seine Tücken – zumindest für diejenigen, die weder der hebräischen (das war wohl kaum jemand der Gruppe) noch ausreichend der englischen Sprache mächtig waren. Denn vor dem Einreisestempel gab es durch die israelischen Behörden erst einmal die dortzulande obligatorischen Fragen: Woher, wohin, weshalb, weswegen, wie lange etc.. Wie gut, dass die „alten Israelhasen“ und „Englischkundigen“ hilfreich zur Seite standen, und so war diese Hürde doch bald von allen genommen.
Da waren wir also in Israel.
Viel Zeit blieb nicht zum Räsonieren. Herzlich von Yalon und dem Busfahrer Deab begrüßt werden, schnell Schekel eintauschen, schwitzend in den Bus hüpfen und dankbar von Deab mit Mineralwasser versorgen lassen. Dann ging’s ab ins Hotel und im Zimmer erstmal unter die Dusche. So frisch gemacht und ein wenig vom Flug erholt, begann unserer erster Israel-Tag mit der Erkundung Tel Avivs und endete bei einem Bierchen, wobei man begann, sich näher kennen zu lernen und Gruppengefühl zu entwickeln.
Die nächsten Tage hatten es in sich. Das jeweilige Programm war straff organisiert, interessant und mehr als vielfältig. In Tel Aviv erwartete uns die Unabhängigkeitshalle, das Diaspora-Museum und ein sehr interessanter Vortrag von Micky Drill von der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Eindrucksvoll untermauert wurde der Geschichtsexkurs durch den Besuch des Dorfes Kfar Shmaryahu, begründet in den dreißiger Jahren von aus Deutschland geflüchteten Juden, und die Besichtigung einer unterirdischen Munitionsfabrik der Jüdischen Selbstverteidigungsorganisation der Mandatszeit Haganah in Rehavot. Sie wurde unter den Augen der Engländer während der Zeit des englischen Protektorats gebaut und betrieben.
Wir kletterten in Massada auf das Felsmassiv und tranken in den Ruinen der alten Herodes-Festung kühlen israelischen Rotwein. Wir besuchten Qumran und schwammen in den Fluten (haha) des Toten Meeres. Während der Fahrt entlang der Grenzanlagen zu Jordanien (Staatsstrasse Nr. 91, welche Israel vom Norden bis in den Süden durchquert) wanderten zumindest meine Gedanken über zwanzig Jahre zurück zur „Berliner Mauer“ und der „deutsch-deutschen Grenze“. Dies sollte sich während unseres Aufenthaltes hier noch einige Male wiederholen. Man schleppt halt „seine Geschichte“ selbst mit ins entfernte Israel.
Auf den Spuren Jesus bestiegen wir (mit der Seilbahn) den Berg der Versuchung und wurden am Jordan an der Taufstelle des Johannes bei Yardenit (die eigentlich damals einige Kilometer weiter weg war, aber aus Sicherheitsgründen verlegt wurde) Zeugen einer baptistischen Taufe. Wir – zumindest einige von uns – badeten einige Tage morgens bei Sonnenaufgang im See Genezareth. Selbstverständlich probierten die Fischliebhaber auch den original „Petrusfisch“, gefangen im See, in dem ihn schon zu Jesus Zeiten sein Jünger Petrus, damals noch Simon genannt, fischte.
Jericho, Nazareth, Misgav Am (das nördlichste Kibbuz mit Aussicht nach Libanon), der National Park Banjas (wir erlebten das Wunder eines Regens), der Berg der Seligpreisung, wo Jesus seine berühmte Bergpredigt hielt, die Brotvermehrungskirche in Tabgha, Capernaum und Jerusalem selbst – all das Stationen unserer Reise, und all das Stoff bietend für Bücher. (Auch wenn schon so viele darüber geschrieben wurden, sie sind eine nie versiegende Quelle von Empfindungen, Betrachtungen, Gedanken.)
Wir waren auf den Golan-Höhen, von denen Syrien von 1948 bis 1967 israelische Dörfer beschoss, bis die Golanhöhen 1967 von Israel besetzt und 1980 zu israelischem Gebiet erklärt wurden, und in Orten auf der Westbank in allen drei Verwaltungszonen des Palästinenser-Gebietes.
Vier Begegnungen und ein fast privates Erlebnis haben mich allerdings besonders bewegt.
Wir besuchten Yad Vashem, die nationale israelische Gedenkstätte, welche an die Ermordung von 6 Millionen europäischer Juden durch die Nationalsozialisten erinnern. Jeder israelische Jugendliche besucht die Gedenkstätte und ich wünschte mir, auch jeder oder zumindest soviel wie möglich deutsche junge Menschen sollten es auch. Damit das, was damals geschah, nie vergessen wird – auch in Deutschland nicht. Scham, Wut, Verzweiflung, Verachtung, und ich gestehe – auch Hass auf Verantwortliche und Ausführende, erfüllten mich. Ich habe es nicht ausgehalten – am schlimmsten war es im Children‘s Memorial.
Herzlich wurde unsere Gruppe in Akko in der dortigen Polizeistation empfangen. Die Polizisten hatten Erfrischungen und einen kleinen Imbiss vorbereitet. Ein Powerpoint-Vortrag vermittelte interessante Einblicke in ihren Dienst und in die Zusammenarbeit der israelischen Polizisten mit der vor allem arabischen Bevölkerung. In welch gutem Klima und Vertrauensverhältnis diese Zusammenarbeit stattfindet, zeigte sich während der Besichtigung der jüdischen, christlichen und moslemischen Heiligtümer in der Altstadt Akkos. Der Chef der Polizeistation führte uns persönlich und überall wurde er als Freund begrüßt. Aber auch der israelisch-palästinensische Konflikt und alle damit verbundenen Probleme wurden unserer Gruppe bei der Besichtigung eines israelischen Grenzüberganges nach Bethlehem (Palästinensisches Selbstverwaltungsgebiet) deutlich.
Acht Meter ist die Mauer um das Gebiet inzwischen hoch, damit Heckenschützen nicht mehr in israelische Häuser schießen können. Das letzte Selbstmordattentat im Grenzkontrollpunkt geschah nur wenige Wochen vor unserem Besuch.
Beeindruckend war der Besuch im Ausbildungslager der Palästinensischen Präsidentengarde und der Besuch der von europäischen (auch deutschen) Polizeikollegen organisierten Ausbildung des gehobenen Dienstes der PA-Police. Der feste Wille, Ruhe und Sicherheit in den palästinensisch verwalteten Gebieten zu gewährleisten und die Ausbildung von Führungskräften der Sicherheitsorgane eines palästinensischen Staates in friedlicher Nachbarschaft zu Israel, sind die Ziele dieses Ausbildungsprojekts. Vor allem unserem Police Advisor im Deutschen Vertretungsbüro in Ramallah, unserem Kollegen Alexander Fritsch, gebührt herzlicher Dank für diese Informationsmöglichkeit!
Ein ganz besonderer Höhepunkt unserer Reise und ein Erlebnis ohnegleichen war der Besuch eines israelischen Beduinendorfes. Nicht irgendeines Dorfes mit Muslimen, sondern ein ganz besonderes – es war das Heimatdorf unseres Busfahrers Deap Ghadir. Empfangen wurden wir im Gemeindezentrum vom Bürgermeister des Ortes, Dr. Mohammed Houjerath, einem Arzt. Er berichtete uns von der Entwicklung des Dorfes, vom Leben der Bewohner, von ihren Freuden und Sorgen und von der zukünftigen Entwicklung.
Danach lud uns Deab ein, alle Gast in seinem Haus zu sein. Wer Karl May kennt, hat sicher schon einige Vorstellungen arabischer Gastfreundschaft. Was wir hier erleben durften, war einzigartig. Mit welcher Hochachtung die Familienangehörigen den Alten und Älteren begegneten, mit welcher Liebe und strenger Nachsicht die Kinder behandelt wurden, mit welcher Freundlichkeit und Herzlichkeit man uns alle Verstöße gegen arabische und muslimische Etikette verzieh, lässt sich nicht in Worte fassen. Und das festliche Abendmahl schon gar nicht.
Dank allen Frauen der großen Familie für die Zubereitung der vielen köstlichen Speisen, Dank allen Männern für ihre vorzüglich Bewirtung und Dank dir, lieber Freund Deap für diese Einladung und deine Gastfreundschaft.
Zehn Tage sind schnell vergangen und schon ging’s zurück nach Deutschland. Ich wäre ja so gerne noch geblieben, aber … Aber was soll’s: Nächstes Jahr in Jerusalem – oder im übernächsten. Auf alle Fälle sieht man sich wieder, versprochen.
Sven Hüber, Yalon Graeber: Dank euch und eurer perfekten Organisation, euren Freunden in Israel, eurer Erfahrung und Ortskenntnis, eurer Liebe zu Land und Leute durften wir eine nachhaltige, lehr- und erlebnisreiche, wunderbare Bildungsreise unternehmen. Habt Dank.